Donnerstag, 16. Oktober 2025

Kindeswille vor Zwang: BVerfG klärt Grenzen der Umgangsregelung (1 BvR 316/24)

Am 8. Oktober 2025 veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine beachtliche Entscheidung, die die Rechte getrennt lebender Eltern und den Willen von Kindern im familiengerichtlichen Umgangsverfahren neu gewichtet.

Die 2. Kammer des Ersten Senats hat mit Beschluss vom 28. August 2025 (veröffentlicht am 08.10.2025) eine Verfassungsbeschwerde eines Vaters (1 BvR 316/24) nicht zur Entscheidung angenommen. Die Kernaussage: Familiengerichte dürfen in Ausnahmefällen auf eine konkrete Umgangsregelung verzichten, wenn dies dem Kindeswohl und dem geäußerten, freien Willen des Kindes entspricht.

Der Fall: Der Wunsch des Kindes zählt

Im zugrundeliegenden Fall hatte das Oberlandesgericht (OLG) entschieden, keine starre Umgangsregelungzwischen dem Vater und seinem inzwischen älteren Sohn festzulegen. Der Sohn, der bei der Mutter lebte, hatte nach einer Phase des Umgangsausschlusses zwar Interesse an seinem Vater bekundet, jedoch betont, er wolle selbst entscheiden, wann und wie er ihn treffen möchte.

Der Vater sah in der fehlenden, durchsetzbaren Regelung eine Verletzung seines Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG und legte Verfassungsbeschwerde ein.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Das BVerfG stellte klar, dass das Elterngrundrecht zwar einen Anspruch auf Umgang mit dem Kind beinhaltet, dieser Anspruch aber nicht grenzenlos ist. Er muss im Konfliktfall mit den Grundrechten des Kindes (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) und des anderen Elternteils abgewogen werden.

Die Karlsruher Richter bestätigten die Haltung des OLG:

  1. Kindeswille ist zu respektieren: Wenn ein altersgerecht entscheidungsfähiges Kind oder Jugendlicher einen freien und stabilen Willen äußert, keinen erzwungenen Umgang zu wollen, muss dies gewürdigt werden.

  2. Schutz vor Zwang: Ein erzwungener Umgang gegen den nachvollziehbaren Willen des Kindes kann dessen Entwicklung gefährden und unter Umständen mehr Schaden als Nutzen verursachen.

  3. Keine Verletzung des Elternrechts: Der Verzicht auf eine formal geregelte Umgangspflicht stellt keine Verletzung des Elternrechts dar, solange dem Elternteil andere Kontaktmöglichkeiten (wie Briefkontakt) offenstehen und das Kind die Möglichkeit hat, den Kontakt selbst flexibel aufzunehmen.

Die Kammer betonte, dass der Verzicht auf eine Regelung kein Ersatz für richterliches Nichtstun sein dürfe, im vorliegenden Fall jedoch die Abwägung des OLG dem Kindeswohl entsprach.

Fazit und Bedeutung

Dieser Beschluss unterstreicht die wachsende Bedeutung des Kindeswillens im Familienrecht, insbesondere bei älteren Kindern und Jugendlichen. Er bestätigt, dass es Fälle geben kann, in denen das Kindeswohl eine Nichtregelung des Umgangs rechtfertigt, um das Kind vor unnötigem Druck oder Loyalitätskonflikten zu schützen. Für getrennt lebende Eltern bedeutet dies, dass ein erzwungener Umgang nicht in jedem Fall durchsetzbar ist und der Fokus stärker auf die Kooperationsbereitschaft und die Akzeptanz der Autonomiedes Kindes gelegt werden muss.


Link zum vollständigen Beschluss

Den vollständigen Text des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 28. August 2025 – 1 BvR 316/24 finden Sie hier:

➡️ Beschluss vom 28. August 2025 - 1 BvR 316/24 (Bundesverfassungsgericht)

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